Wer jüngst einen Kredit für den Kauf eines Hauses aufgenommen hat, traute seinen Augen kaum: In kürzester Zeit schossen die Bauzinsen in die Höhe. Was steckt dahinter?
Für viele Bürger ist der Traum vom Eigenheim in weite Ferne gerückt. Erst sind die Immobilienpreise in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt explodiert. Und in den vergangenen Monaten sind zusätzlich noch die Bauzinsen in einer bisher nie da gewesenen Geschwindigkeit angestiegen. Innerhalb von nur wenigen Monaten haben sich die Zinsen für Immobilienkredite nahezu verdreifacht – und Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg in den kommenden Monaten.
Als Grund für diesen fulminanten Anstieg wird recht vage die hohe Inflation und die damit verbundene Erwartung angegeben, dass die Europäische Zentralbank ihre Niedrigzinspolitik ändern könnte. Häufig entsteht dadurch der Eindruck, als hätte eine Anhebung der Leitzinsen direkt eine Steigerung der Zinsen für Immobilienkredite zur Folge.
Doch das stimmt nicht. Das Verhältnis von Bauzins und Leitzins ist deutlich komplexer. Und es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass die Bauzinsen trotz mittelfristig steigender Leitzinsen nicht weiter mitsteigen. Welche Entwicklungen sollten Immobilieninteressierte also besonders im Auge behalten?
1. Pfandbriefe
Um die Entwicklung der Bauzinsen besser zu verstehen, muss man erst einmal verstehen, woher Banken überhaupt das Geld für einen Immobilienkredit nehmen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten: Eine Bank könnte zum Beispiel die Spareinlagen ihrer Kunden dafür nutzen oder sich von anderen Banken Geld leihen, das sie zu einem höheren Zinssatz weiterverleiht. Beides wird tatsächlich gemacht, hat aber Nachteile. Zum einen müssen die Banken bei der Nutzung von Spareinlagen hohe Eigenkapitalquoten zurückhalten, zum anderen entstehen bei Bankkrediten mit kurzen Laufzeiten nicht unerhebliche Zinsänderungsrisiken. Deswegen gehen die Banken meist einen dritten Weg, um das Geld für einen Immobilienkredit aufzutreiben: nämlich über sogenannte Pfandbriefe.
Das Prinzip ist einfach: Banken besitzen eigene Immobilien und sie besitzen Rechte an Immobilien. Wenn eine Bank einen Immobilienkredit vergibt, dann lässt sie sich vom Kreditnehmer als Gläubiger in das Grundbuch der Immobilie eintragen. Diese Immobilien kann die Bank nun wieder beleihen, indem sie Pfandbriefe herausgibt und diese an Anleger verkauft. Die Anleger geben der Bank also Geld, das diese an einen Kreditnehmer weitergeben kann. Allerdings muss die Bank dem Anleger dafür auch etwas zahlen, nämlich sogenannte Pfandbriefzinsen. Wenn die Bank den Kredit dann weitergibt, schlägt sie darauf noch ihre eigene Marge zwischen 0,5 und 0,7 Prozent auf. Daraus entsteht also der Zinssatz für den Immobilienkredit. Maßgeblich entscheidend für die Höhe der Bauzinsen ist deshalb der Pfandbriefzinssatz.
2. Staatsanleihen
Nun stellt sich die Frage, wie dieser Zinssatz wiederum zustande kommt. Der Pfandbriefzinssatz orientiert sich generell an den Zinsen von Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Diese werden von der Deutschen Finanzagentur im Auftrag des Bundes herausgegeben. Wer eine deutsche Staatsanleihe kauft, gibt sozusagen dem deutschen Staat einen Kredit, mit dem dieser seinen Haushalt finanzieren kann. Wie hoch die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen sind, legt der Staat auf dem Papier zwar selbst fest, de facto wird der Zinssatz aber am Markt nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage entschieden.
Warum ist das so? Generell gilt: Je höher die Nachfrage nach einer Staatsanleihe, desto höher ihr Kurs und desto niedriger ihr Zinssatz. Die Nachfrage nach den Anleihen potenzieller Pleitestaaten ist äußerst gering, weil das Ausfallrisiko sehr hoch ist. Also müssen diese Staaten hohe Zinsen zahlen, damit überhaupt jemand bereit ist, Geld für ihre Staatsanleihen auszugeben. Die Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen wiederum ist generell recht hoch, weil der Bundesrepublik mit dem AAA-Rating die höchstmögliche Kreditwürdigkeit zugesprochen wird. Ratingagenturen weltweit halten es also für extrem unwahrscheinlich, dass Deutschland die Zahlungsunfähigkeit droht. Somit kann die Bundesrepublik ihre Anleihen mit einem extrem niedrigen Zinssatz ausgeben. Gleichzeitig konkurriert die Bundesrepublik aber auch mit anderen AAA-Staaten – bieten diese bessere Zinssätze an, weichen Anleger aus. Somit wirkt sich also auch das globale Zinsniveau auf Bundesanleihen aus.
Wer zukünftig einen Immobilien-Kredit aufnehmen möchte, sollte also immer die Zinsentwicklung zehnjähriger Staatsanleihen im Auge haben.
3. Geldpolitik der EZB
Nun kommt ein weiterer, wesentlicher Faktor ins Spiel, der die Entwicklung der Staatsanleihen-Zinsen beeinflusst: nämlich die geldpolitische Steuerung durch die Europäische Zentralbank, die normalerweise über den Leitzins vorgenommen wird. Wenn die EZB den Leitzins verändert, setzt das für gewöhnlich eine Kette von Reaktionen in Gang. Bei einer Zinsanhebung entzieht sie dem Markt Geld, weil es teurer wird, Kredite aufzunehmen. Dadurch wird die Wirtschaft gebremst und die Inflationsgefahr sinkt. Bei einer Zinssenkung pumpt die EZB Geld in den Markt, weil Banken zu günstigeren Konditionen Geld bei ihr leihen können. Die Wirtschaft wird angekurbelt und die Inflationsgefahr steigt.
Wie wirkt sich das auf Staatsanleihen aus? Die direkte Folge einer Zinssenkung ist, dass kurzlaufende Anlagen – also jene mit einer kurzen Zinsbindung, wie Tagesgelder – unattraktiver werden. Das könnte zur Folge haben, dass Kapital in Anlagen mit längerlaufenden Zinsbindungen umgeschichtet wird – und dazu gehören Staatsanleihen. In diesem Fall steigt die Nachfrage nach Staatsanleihen, also steigt ihr Kurs, also sinkt ihr Zinssatz. Dadurch sinkt der Pfandbriefzinssatz und zu guter Letzt werden Immobilienkredite günstiger. Umgekehrt könnte die Reaktionskette genau so eintreten: Der Leitzins steigt und am Ende steigen auch die Bauzinsen. Doch jetzt kommt das große Aber.
4. Es geht vor allem um die Zinserwartung
Die kausale Kette muss in dieser Form nicht eintreten. Es gibt keinen direkten Mechanismus, der nach einer Leitzinsänderung zwingend eine Bauzinsänderung zur Folge hat. Vielmehr spielt die Erwartungshaltung der Anleger eine Rolle. Wenn Anleger glauben, dass der Leitzins bald steigen wird, schichten viele ihr Kapital aus sicheren Staatsanleihen in erwartbar attraktivere kurzfristige Anlagen um, schon bevor die EZB diese Änderung überhaupt vorgenommen hat – dadurch steigen die Zinsen für Staatsanleihen, ohne, dass überhaupt irgendetwas passiert ist.
Und was könnte dazu führen, dass Anleger glauben, dass der Leitzins bald steigt? Zum Beispiel, wenn gerade eine extrem hohe Inflation vorherrscht, die durch die EZB durch Leitzinserhöhungen bekämpft werden muss. Die europäischen Währungshüter hatten aus diesem Grund zuletzt eine erste Erhöhung für Juli in Aussicht gestellt.
Ruhe bewahren und fokussieren
Das bedeutet: In der derzeitigen Situation sollten Immobilien-Interessierte keine Panik bekommen und noch schnell einen Immobilien-Kredit abschließen, aus Angst davor, dass ihnen die Bauzinsen davonlaufen. Denn auch, wenn die Leitzinsen noch nicht angehoben wurden, ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Erwartung von Zinserhöhungen – und damit auch der Bauzins – so langsam den Höhepunkt erreicht. Derzeit kommen mit der Notenbank-Geldschwemme, den Folgen der Corona-Maßnahmen, den globalen Lieferkettenproblemen, der Energiekrise, der chinesischen Null-Covid-Politik und dem russischen Angriff auf die Ukraine viele Faktoren zusammen, die die Inflation weltweit anfachen. Die Inflationserwartung, und damit auch die Erwartung, dass die Leitzinsen angehoben werden, könnte also kaum höher sein.
In der derzeitigen Situation ist es also durchaus ratsam, die Ruhe zu bewahren und sich auf die Dinge zu konzentrieren, die bei einem Kauf immer noch die größte Rolle spielen: nämlich, dass die Immobilie von Ausstattung, Preis, Lage und Qualität her zu den eigenen Bedürfnissen passt.
Quelle: Nordkurier, https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/warum-immobilien-kredite-derzeit-so-teuer-sind-3048377205.html